Nacktschnecken

Unter Nacktschnecken versteht man landläufig Schnecken, deren Gehäuse zurück gebildet ist. Diese Gehäusereduktion hat im Verlauf der Evolution der Schnecken mehrfach in den unterschiedlichsten Schneckengruppen im Meer und an Land statt gefunden.

Vor- und Nachteile der Gehäuse-Reduktion


Clione limacina, Clionidae. Nordmeer.
Bild: Kevin Raskoff (Quelle).
 

Die Rückbildung (Reduktion) des Gehäuses bei Schnecken ist eine sehr interessante Entwicklung, da sie sehr offensichtliche Vor- und Nachteile bietet. Bei Schnecken allgemein dient das harte Kalkgehäuse den Tieren, denen Skelettelemente jeglicher Art fehlen, vor allem zum Schutz. Gerade Meeresschnecken besitzen daher oft ein besonders dickes und erstaunlich widerstandsfähiges Gehäuse, in das sie sich von ihren zahlreichen Feinden zurückziehen können. Für Landschnecken kommt außerdem der Schutz vor der allzeit drohenden Verdunstung hinzu. Zudem können sich Schnecken mit ihrem Gehäuse auch tarnen, sei es durch dessen Farbe, die sich dem Hintergrund des bevorzugten Lebensraums angepasst hat (als Beispiel sei hier die einheimische Baumschnecke (Arianta arbustorum) genannt, oder die farbigen und variablen Gehäuse der Bänderschnecken (Cepaea)), sei es durch Tarnung mittels Schalenbehaarung (zum Beispiel bei den Laubschnecken (Hygromiidae) oder den Riemenschnecken (Helicodontidae)) oder durch angeheftete Bodenpartikel (vgl. Camouflage).

Die Entwicklung zur gehäuselosen Nacktschnecke gibt diese Vorteile sämtlich zugunsten eines anderen Vorteils auf: Beweglichkeit. Dies kann man besonders gut bei einem meereslebenden Räuber-Beute-Paar erkennen: Der See-Engel (Clione limacina), eine meereslebende Nacktschnecke, schwimmt frei im Wasser und jagt den See-Schmetterling (Limacina helicina), der zwar nur noch eine sehr leichte Schale trägt, schwimmen kann und Jagd auf Quallen macht, aber dem See-Engel eben entscheidend unterlegen ist.

Zusätzlich warnen die gehäuselosen Nacktkiemer (Nudibranchia) ihre Fressfeinde durch farbenfrohe Rückenanhänge davor, sie zu fressen, umso nachdrücklicher, als sie außerdem Nesselzellen ihrer Beute, Quallen, in diesen Anhängen einlagern und für die eigene Verteidigung einsetzen. Bei den Flankenkiemerschnecken ('Notaspidea') kommt sogar, durch symbiotische Bakterien gebildet, das tödliche Gift Tetrodoxin zum Einsatz.

 
Schutzstellung der Roten Wegschnecke (Arion rufus).
Bild: Martina Eleveld.

Bei landlebenden Nacktschnecken kommt außerdem die allgegenwärtige Gefahr der Austrocknung hinzu. Hier hat der Schleim in zunehmendem Maße die Schutzfunktion übernommen. Bei unseren einheimischen Nacktschnecken, etwa den großen Wegschnecken (Arionidae) und Schnegeln (Limacidae) kann man gut die viskose, fast klebrige Konsistenz des Schleims erkennen. Schneckenschleim zieht zudem Wasser an und gibt es nur in geringem Maße wieder ab. Bei vielen Nacktschnecken erfüllt der Schleim auch eine wichtige Schutzfunktion gegen Fressfeinde. Wie schon Hermann Löns 1911 beschrieben hat, schmecken Wegschnecken extrem widerlich, was auf viele Fressfeinde abstoßend wirken dürfte. Der klebrige Schleim macht es den Fressfeinden zudem sehr schwer, die Nacktschnecken zu verschlucken - Igel beispielsweise müssen Wegschnecken in Erde rollen, um sie fressen zu können. Zusätzlich dazu können Wegschnecken sich stark zusammenziehen, was es ihren Feinden sehr schwer macht, die Schnecke zu verschlucken.

Viele landlebende Nacktschnecken leben außerdem zum großen Teil unterirdisch. Hier verliert die Verdunstung an Bedeutung und umso wichtiger wird die Beweglichkeit: Ein Gehäuse wäre hier sehr hinderlich.

Der Ablauf der Gehäuse-Reduktion


Ohrförmige Glasschnecke (Eucobresia diaphana) aus dem
Wienerwald. Bild: Martina Eleveld.
 

Als Nacktschnecken bezeichnet man gemeinhin Schneckenarten, die äußerlich kein Gehäuse mehr zeigen. Gerade bei den landlebenden Schnecken kann man aber die Gehäusereduktion in unterschiedlichen Graden beobachten. Sehr hilfreich ist hier die der Glasschnecken (Vitrinidae). Diese kleinen, räuberisch lebenden Schnecken besitzen ein sehr leichtes, glasartig durchscheinendes Gehäuse, das, je nach Art, in unterschiedlichem Maße vom Mantel wachsen wird: Bei manchen Arten schiebt sich nur ein Mantellappen seitlich  das Gewinde, und ein Mantelschild wächst von vorne  das Gehäuse. Bei anderen Arten verschwindet das Gehäuse vollständig unter dem Mantel und ist äußerlich nicht mehr zu sehen. Man bezeichnet diesen Vorgang als Vitrinisierung.

Glasschnecken (Vitrinidae).

Eine ähnliche Entwicklung hat bei den bucklig aussehenden "Springschnecken" (jumping slugs) der Gattung Hemphillia in Nordwest-Amerika und bei vielen exotischen Arten statt gefunden.

 
Eine Daudebardie aus dem Wienerwald mit ungeklärter Artzu-
ordnung. Bild: Martina Eleveld.

Vitrinisierung: Schalenrückbildung bei anderen Schneckengruppen.

Andere Gruppen, wie etwa die räuberischen Daudebardien (Daudebardiinae), die zu den Glanzschnecken (Oxychilidae) gehören, hat sich das Gehäuse zu einem winzigen, muschelähnlichen Rest zurückgebildet, den das Tier am Schwanzende trägt. Zurück ziehen können sich diese Schnecken, ebenso wie die Rucksackschnecken (Testacellidae) in ihr Gehäuse nicht mehr. Daudebardien und Rucksackschnecken leben unterirdisch und jagen Regenwürmer.

Der Extremfall dieser Entwicklung bei landlebenden Schnecken sind vollständige Nacktschnecken. Selbst bei diesen kann man bei manchen Gruppen aber anatomisch noch Gehäusereste unter dem Mantelschild nachweisen (z.B. Schnegel (Limacidae) und Kielschnegel (Milacidae)). Im Gegensatz dazu ist bei den Wegschnecken (Arionidae) das Gehäuse zu einigen Kalkkörnern reduziert.

Heimische Nacktschnecken

Nacktschneckenarten gibt es weltweit, besonders in vegetationsreichen Gebieten, wie Wald, Gebüsche und Gärten. In Europa unterscheidet man vor allem die großen Wegschnecken (Arionidae) und Schnegel (Limacidae), deren größter Vertreter, der Schwarze Schnegel (Limax cinereoniger), über 20 cm lang werden kann, sowie ihre kleineren Verwandten Kielschnegel (Milacidae) und Kleinschnegel (Agriolimacidae).

Heimische Nacktschnecken.
Die faszinierende Welt der Schnegel (Limacidae) auf schnegel.at.

Systematischer Überblick

Hinterkiemerschnecken (Opisthobranchia)

Kopfschildschnecken (Cephalaspidea)
Schlundsackschnecken (Sacoglossa)
Seehasen (Aplysiomorpha)
Flankenkiemerschnecken ('Notaspidea')
Thecosomata
Gymnosomata
Nacktkiemerschnecken (Nudibranchia)

Lungenschnecken (Pulmonata)
Landlungenschnecken (Stylommatophora)

Testacelloidea
Rucksackschnecken (Testacellidae)

Gastrodontoidea
Glanzschnecken (Oxychilidae)
Daudebardien (Daudebardiinae)

Parmacelloidea
Mantelschnegel (Parmacellidae)
Kielschnegel (Milacidae)
Trigonochlamydidae

Limacoidea
Schnegel (Limacidae)
Kleinschnegel (Agriolimacidae)
Wurmschnegel (Boettgerillidae)
Glasschnecken (Vitrinidae)

Arionoidea
Wegschnecken (Arionidae)
Anadenidae
Ariolimacidae
Binneyidae
Oopeltidae
Philomycidae

Veronicelloidea
Veronicellidae
Rathouisiidae

Punctoidea
Cystopeltidae

Rhytidoidea
Chlamydephoridae

Helicarionoidea
Urocyclidae