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Kahnschnecken

Neritidae Rafinesque, 1815

 

Inhalt

Einleitung

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Helicina clappi (Helicinidae), ein landlebender Verwandter
der Kahnschnecken aus Florida.
Bild: Robert Pilla (Jacksonville Shell Club).
 
   

Glänzende Kahnschnecke (Nerita polita) aus Hawaii, eine
meereslebende Art. Bild: C. A. Clark (iNaturalist).
 
Kahnschnecken sind urtümliche Schnecken mit einem gedrungenen, dickwandigen Gehäuse und einem kalkigen Deckel (Operculum). Sie kommen sowohl im Meer (z.B. die Gattung Nerita, Bild links), als auch im Süßwasser vor: Nach neueren Erkenntnissen haben die Neritidae nicht weniger als sechsmal vom Meer aus das Süßwasser besiedelt (Holthuis, 1995). Zwei landlebende Familien, die Helicinidae und die Hydrocenidae, sind seit dem Devon vor ca. 375 Mio. Jahren nachweisbar (vgl. Tafel der Erdzeitalter). Auch heute noch gibt es mehrere rezente Gruppen, die in der Übergangszone zwischen Meer und Süßwasser, also im Brackwasser oder in Mangrovengebieten leben.

Ira Richling: The Land Snail Family Helicinidae.
Wie die Schnecken an Land gelangten: Helicinidae.

Kahnschnecken werden oftmals auch als Nixenschnecken bezeichnet und tatsächlich rührt der wissenschaftliche Name Neritidae von den Nixen (Nereiden) aus der griechischen Mythologie her.

  Bestimmungsmerkmale von Kahnschnecken (Neritidae):

Da die meisten Kahnschneckenarten in Bezug auf Schalenfarbe
und -musterung sehr variabel sind, ist der Schalendeckel (Oper-
culum meist das wichtigste Bestimmungsmerkmal.


Unterseite der Gemeinen Kahnschnecke (Theodoxus fluviatilis) mit Schalendeckel
(Operculum). Bild:  Daniel Pavon (iNaturalist).


Die meisten Kahnschneckenarten besitzen ein halbkreisförmiges
kalkiges Operculum. Ein Saum aus Horn kann vorhanden sein.

Zwei Kalkfortsätze an der Innenseite des Operculums werden als
Rippe und Zapfen bezeichnet und dienen als Ansatzpunkte für
Muskeln. Form und Vorhandensein dieser Fortsätze, sowie Form
und Farbe des Operculums sind die wichtigsten Bestimmungs-
merkmale.
Das Gehäuse der Kahnschnecken ist dickschalig und bootsförmig halbrund. Die Spindelseite der Mündung ist charakteristisch zu einer ebenen Platte ausgebildet. Kahnschnecken haben, wie bereits bemerkt, einen Deckel (Operculum), der innen meist zwei Fortsätze (Apophysen) trägt, deren längeren man als Rippe, den kürzeren als Zapfen bezeichnet. Form und Farbe des Operculums sind bei den farblich sehr variablen Kahnschnecken ein wichtiges Bestimmungsmerkmal (vgl. Kasten rechts).

Anders ist die Situation bei den napfschneckenförmigen Kahnschnecken der Gattung Septaria. Bei diesen sitzt der Schalendeckel nicht außen am Fuß, sondern ist klein, nahezu viereckig und innerhalb einer Tasche im Fuß eingewachsen, im Gegensatz zu den anderen Kahnschneckenarten von außen also nicht zu sehen.

Kahnschnecken sind, wie die meisten anderen Vorderkiemer-Schnecken, getrennt geschlechtliche Tiere. Die Eikapseln werden auf Hartsubstrat aller Art abgelegt, bevorzugt aber auf den Gehäusen von Artgenossen. Jede Eikapsel enthält 30 bis 70 Eier, von denen sich aber nur eines, je nach den herrschenden Umweltbedingungen, nach 4 bis 8 Wochen zum Jungtier entwickelt. Die übrigen Eier dienen nur als Nähreier.

Kahnschnecken leben vom Algenbewuchs, den sie von Steinen und Wasserpflanzen weiden.

Zu den Kahnschnecken gehören auch gehören auch die im Aquarium gehaltenen Rennschnecken (z.B. die Zebra-Rennschnecke, Vittina natalensis aus Ost- und Südafrika). Auch diese verlassen gerne bei Gelegenheit das Wasser und sind im Aquarium als effektive Algenvernichter beliebt.

In Europa kommen nur süßwasserlebende Kahnschneckenarten vor. In Deutschland sind es drei Arten, allerdings zeichnet sich die Gemeine Kahnschnecke (Theodoxus fluviatilis) in der Küstenregion der Ostsee auch durch seine Salinitätstoleranz aus: Obwohl Theodoxus fluviatilis eigentlich eine Süßwasserschnecke ist, kann er sehr wohl auch das schwach salzige Brackwasser der Ostsee ertragen. Zu diesen kommt in Österreich noch eine vor allem in Thermalquellen vorkommende Art hinzu. Inzwischen sind außerdem noch weitere Arten aus dem Osten in die österreichische Donau eingeschleppt worden oder eingewandert.

Die Ostsee: Ein junges Brackwassermeer mit wechselvoller Geschichte.

Systematik

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Klasse Gastropoda
Unterklasse Neritimorpha
Ordnung Cycloneritida
Überfamilie Neritoidea
Familie Neritidae Rafinesque, 1815

Familie Neritidae Rafinesque, 1815

Unterfamilie Neritinae Rafinesque, 1815
Mienerita H. Dekker, 2000
Nerita Linnaeus, 1758
Smaragdia Issel, 1869

Unterfamilie Neritininae Poey, 1852
Clithon Montfort, 1810
Clypeolum Récluz, 1842
Fluvinerita Pilsbry, 1932
Nereina De Cristofori & Jan, 1832
Neripteron R. P. Lesson, 1831
Neritina Lamarck, 1816
Neritodryas E. von Martens, 1869
Neritona E. von Martens, 1869
Puperita Gray, 1857
Septaria J. B. Férussac, 1807
Theodoxus Montfort, 1810
Vitta Mörch, 1852
Vittina H. B. Baker, 1923

Quelle: MolluscaBase eds. (2025): Neritidae Rafinesque, 1815.

 

Die Familie der Kahnschnecken (Neritidae Rafinesque, 1815) wird nach heutigen Stand der Kenntnis in zwei Untergruppen unterteilt. Zum einen sind dies die Neritinae, zu denen neben der namengebenden Gattung Nerita (siehe Bild oben links) auch die interessanten grünen Smaragdschnecken (Smaragdia) gehören. Die Neritinae sind vorwiegend meereslebend.

Nach der Gattung Neritina wurde hingegen die zweite rezente Unterfamilie, die Neritininae, benannt. Zu dieser gehören zahlreiche süß- oder brackwasserlebende Gruppen, wie in Mitteleuropa die Gattung Theodoxus, sowie z.B. die exotischen Gattungen Vittina, Clithon und Septaria.

Taxonomie der Gastropoda: Klade Neritimorpha: Neritidae.
Exotische Kahnschnecken.

Einheimische Kahnschnecken

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Gemeine Kahnschnecke - Theodoxus fluviatilis (Linnaeus, 1758)

 
Gemeine Kahnschnecke (Theodoxus fluviatilis) auf einer Maler-
muschel (Unio pictorum).
 
Ansicht auf das Tier und den Deckel (Operculum).
Bilder: © Alexander Mrkvicka, Wien.
Die farblich sehr variable Gemeine Kahnschnecke (Theodoxus fluviatilis) zeigt meistens eine dunkelrote oder violett bräunliche Netzzeichnung auf hellerem Grund. Das Operculum weist nur eine breite Rippe auf, aber keinen Zapfen.

Theodoxus fluviatilis (wörtlich: Die Fluss-Kahnschnecke) lebt im Mittel- und Unterlauf der Flüsse, aber auch in Seen und tritt im Allgemeinen in großer Zahl auf. Eine kleinere, dunkle Unterart, Theodoxus fluviatilis littoralis, lebt im Brackwasser der Flussmündungen der Ostsee. Laut Zettler et al. (2004) in Glöer, Zettler (2005) wird allerdings festgestellt, dass "keine signifikanten Unterschiede in Gehäuseform, Operculum oder Radula, die die Abtrennung einer Unterart rechtfertigen würden".

Die Gemeine Kahnschnecke ist im gemäßigten und warm gemäßigten Europa verbreitet, zwischen Südschweden und Italien, zwischen Spanien und Finnland, von Irland bis nach Russland und das westliche Kleinasien, fehlt aber in den Alpen und deren nördlichen Vorländern. Außerdem tritt die Art im iranischen Hochland auf.

In der Norddeutschen Tiefebene ist die Art vor allem in Mecklenburg-Vorpommern weit verbreitet, sonst sind die Populationen stark rückläufig: im übrigen Deutschland kommt Theodoxus fluviatilis in Rhein, Mosel, Main, Neckar und Fränkischer Saale vor.

Aus Ungarn breitet sich die Gemeine Kahnschnecke laut KOŠEL (2004) seit 1987 donauaufwärts in Richtung der Slowakei aus, ist also auch bei Wien anzutreffen. In Österreich wurde sie allerdings von Schultz, H.; Schultz, O. (2001) bereits 2001 erstmals in der Nähe von Tulln in Niederösterreich nachgewiesen.

Weichtier des Jahres 2004: Gemeine Kahnschnecke (Theodoxus fluviatilis).
Wikipedia: Gemeine Kahnschnecke.
Schultz, H.; Schultz, O.: (2001): Erstnachweis der Gemeinen Kahnschnecke (Theodoxus fluviatilis) in Österreich. Ann. Nat. Hist. Mus. Wien 103B, 231 - 241. (PDF).
Zettler, M. L.; Frankowski, J.; Bochert, R.; Röhner, M.: (2004): Morphological and ecological features of Theodoxus fluviatilis (Linnaeus, 1758) from Baltic brackish water and German freshwater populations. Journal of Conchology 38: 303-316. (PDF)
Glöer, P; Zettler, M. L. (2005): Kommentierte Artenliste der Süßwassermollusken Deutschlands. Malak. Abh. 3 - 26, p. 14. (PDF).
Wiese, V.; Janke, K. (2021): "Die Meeresschnecken und -muscheln Deutschlands", Quelle und Meyer Verlag, Wiebelsheim, S. 72.

Donau-Kahnschnecke - Theodoxus danubialis (C. Pfeiffer, 1828)


Weit und eng gestreifte Variante von Theodoxus danubialis.
Bild: © Alexander Mrkvicka, Wien.
 
Die Donau-Kahnschnecke erkennt man am Gehäuse mit den quer verlaufenden dunklen Zickzack-Streifen auf hellerem, meist gelblichen Grund, im Osten auch einfarbig schwarz. Das Operculum ist blassgelb, der Zapfen befindet sich plättchenartig in einer Grube. Verglichen mit Theodoxus fluviatilis ist das Gehäuse von Theodoxus danubialis schmaler und höher.

In Deutschland kommt Theodoxus danubialis nur in der Donau von Kelheim abwärts und in den Unterläufe der Nebenflüsse vor, außerdem in den Flüssen und Seen der Südalpen bis zum Iseo-See in der Lombardei. Während im deutschen Abschnitt der Donau nur Restpopulationen (bei Bad Abbach) bekannt sind gilt die Donau-Kahnschnecke in Österreich im Hauptstrom der Donau als verschollen - einzelne Restpopulationen sind nur in Nebenflüssen, z.B. in Perschling und Leitha in Niederösterreich, zu finden.

 
Donau-Kahnschnecke (Theodoxus danubialis), schwarze Va-
riante mit Eikapseln. Bild: © Alexander Mrkvicka, Wien.
   
 
Kahnschnecken und Pechschnecken in einer Thermalquelle
in Niederösterreich. Bild: © Alexander Mrkvicka, Wien.
   
 
Thermen-Kahnschnecke (Theodoxus prevostianus).
Bild: © Alexander Mrkvicka, Wien.
Die Donau-Kahnschnecke bevorzugt saubere, sauerstoffreiche Fließgewässer mit steinigem Untergrund. Wo solche Gewässer aufgestaut werden, verschwinden die Populationen im Allgemeinen. Da Theodoxus danubialis deutlich empfindlicher auf Wasserverschmutzung und auf die Veränderung des Gewässers reagiert, als Theodoxus fluviatilis, wird die Art inzwischen in den roten Listen Deutschland, Österreichs und Tschechiens als vom Aussterben bedroht aufgeführt, in Slowenien gilt sie als gefährdet.

Nationalpark Donau-Auen: Donau-Kahnschnecke (Theodoxus danubialis).
Wikipedia: Donau-Kahnschnecke.

Gestreifte Kahnschnecke - Theodoxus transversalis (C. Pfeiffer, 1828)

Das Gehäuse der Gestreiften Kahnschnecke weist weder eine Netz- noch eine Streifenzeichnung auf, aber dafür mehrere feine Spirallinien, die sich meist zu drei Binden anordnen, die besonders bei verwitterten Exemplaren auf dem bleigrauen bis gelben Grund gut sichtbar sind. Das Operculum ist orangefarben mit einem kräftigen, spiralig gedrehten Zapfen.


Gestreifte Kahnschnecke (Theodoxus transversalis).
Bild: © Alexander Mrkvicka, Wien.
 
Vergleichbar mit Theodoxus danubialis, bevorzugt auch Theodoxus transversalis saubere und sauerstoffreiche Fließgewässer mit steinigem Untergrund. Während die Art in der deutschen Donau flussaufwärts früher bis Donauwörth und Ingolstadt vorkam, gibt es heute nurmehr Restpopulationen von Kelheim abwärts und Reliktvorkommen in der Alz. In Österreich ist die Gestreifte Kahnschnecke möglicherweise bereits ausgestorben, bei einer Untersuchung im Raum Wien konnte die Art 2007 und 2008 nicht mehr gefunden werden.

In der Theiß und den flussabwärts gelegenen Teilen der Donau Rumäniens und Bulgariens kommt Theodoxus transversalis noch vor, außerdem in den Nebenflüssen, in denen die Wasserqualität noch ausreichend ist. W. Fischer et al. (2009) berichteten von einem Vorkommen der Art aus dem Dojran-See in Makedonien.

Francisco Welter-Schultes: Theodoxus transversalis species homepage.
Fischer, W.; M. Duda, M; Reischütz, A. (2009): Beiträge zur Molluskenfauna Österreichs XVI. Anmerkungen zur Süßwassermolluskenfauna Wiens. - N. Erste Vorarlb. Mal. Ges. 16: 5 - 19. (PDF).
Fischer, W.; Reischütz, A.; Reischütz, P. L. (2009): Theodoxus transversalis (C. Pfeiffer, 1828) im Dorjansee (Mazedonien). N. Erste Vorarlb. Mal. Ges. 16: 345 - 346.

Thermen-Kahnschnecke - Theodoxus prevostianus (C. Pfeiffer, 1828)

Die Thermen-Kahnschnecke ist meist einfarbig schwarz bis dunkel violett, die Gehäuseoberfläche ist fein gestreift. Das Operculum ist in der Form dem von Theodoxus danubialis ähnlich, allerdings mit dunkelgrau gefärbtem Mittelfeld und orangefarbenen Rändern.

Theodoxus prevostianus ist ein sehr seltenes Relikt, wahrscheinlich aus einer der Zwischeneiszeiten, als das Klima im heutigen Wien deutlich wärmer war. Seither haben diese Schneckengruppen nur in einigen Thermalquellen mit einer gleich bleibend hohen Wassertemperatur von etwa 24°C in Niederösterreich (Bad Vöslau und Bad Fischau), sowie in Slowenien und Ungarn, überlebt. Auf Grund drohender Zerstörung der zersplitterten Lebensräume wird sie von IUCN als bedrohte Art eingestuft. Verbliebene Vorkommen in Österreich sind der Hansybach und die ihn speisende Thermalquelle von Bad Vöslau, in Ungarn eine Quelle bei Kács, wo sie durch Bauarbeiten bedroht ist. In Rumänien ist die Art ausgestorben.

Wikipedia: Thermen-Kahnschnecke (Theodoxus prevostianus).


Thermen-Zwergquellschnecke (Bythinella
pareyssii
) an einer Kahnschnecke.
Bild: © Alexander Mrkvicka, Wien.
 
Auf Betreiben von HR Dr. Oliver Paget vom Naturhistorischen Museum in Wien wurde der Hansy-Bach, zu dem die Thermalquelle in Bad Vöslau gehört, 1979 zum Naturdenkmal erklärt. Neben Theodoxus prevostianus kommen dort noch zwei weitere Arten von Thermalschnecken vor - die Thermen-Pechschnecke (Microcolpia daudebartii) und die winzige Thermen-Quellschnecke (Bythinella pareyssii).

Das so genannte "Schnecken-Salettl", ein Pavillon unter der Betreuung des Wiener Naturhistorischen Museums, informiert die Besucher über die besonderen, aber wenig bekannten Kurgäste.

Wikipedia: Naturdenkmal Hansybach.

Jüngere Veröffentlichungen weisen darauf hin, dass Theodoxus danubialis und Theodoxus prevostianus deutlich näher verwandt sind, als bisher angenommen. Man geht davon aus, dass ein gemeinsamer Vorfahre beider Arten, möglicherweise Theodoxus prevostianus aus dem Pleistozän, aus dem Gebiet der unteren Donau flussaufwärts ausgebreitet hat. Eine genetische Aufspaltung fand vor allem durch geographische Ausbreitung und örtliche genetische Vielfalt am selben Ort (allopatrische Divergenz) statt. In diesem Zusammenhang wird Theodoxus prevostianus als eine nicht monophyletische Gruppe betrachtet, die eine sehr große genetische Ähnlichkeit zu Theodoxus danubialis darstellt, zumal letztere Art andererseits zwischen den Donauvorkommen und den norditalienischen Vorkommen deutliche Unterschiede zeigt.

Systematik: Vom Systema Naturae zur Kladistik.

Fortsetzung: Teil 2: Exotische Kahnschnecken.

Links

Literatur

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Letzte Änderung: 04.12.2025 (Robert Nordsieck).