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Schneckenkönige - Links gewundene Weinbergschnecken

 
Linke Fuchs-Schließmundschnecke (Alopia straminicollis) und Rechte Fuchs-
Schließmundschnecke (Alopia livida) aus dem Velikan-Tal (Bucegi, Rumä-
nien). Bild: Sigrid Hof (Quelle: hnords.de).

Die Bedeutung der Windungsrichtung der des Gehäuses bei Schnecken ist auf dieser Homepage hinreichend dokumentiert. Zusammengefasst sind die meistens Schneckenarten spezifisch in einer betimmten Richtung gewunden. So sind Schnirkelschnecken (Helicidae) rechts gewunden, Schließmundschnecken (z.B. Cochlodina laminata oder Macrogastra ventricosa) sind links gewunden, während andere Schließmundschneckenarten (z.B. Alopia livida, im Gegensatz zu Alopia straminicollis) rechts gewunden sind.

Eine Ausnahme besteht jedoch dann, wenn Exemplare einer üblicherweise rechts gewundenen Art, etwa der Weinbergschnecke (Helix pomatia) links gewunden sind. Dieses äußerst seltene Phänomen tritt nur bei einer von mehreren tausend Schnecken auf. Im wohl bekannten Fall der Weinbergschnecke spricht der Volksmund dann von einem Schneckenkönig.

Benecke, M. (1994): Von Schneckenkönigen, ungehörnten Würmern und schmatzenden Fischen. Zur Systematik des Conchylienreiches. Club Conchylia 26(2):11-15.


Ein Bild mit Seltenheitswert: Ein Schneckenkönig (rechts) bei
der Paarung mit einer normal gewundenen Weinbergschnecke.
Bild: Peter Leonhardt (Felix-Helix-Projekt).
 

In Zusammenhang mit der umgekehrten Windungsrichtung des Gehäuses befindet sich z.B. auch die Geschlechtsöffnung einer links gewundenen Weinbergschnecke auf der "falschen" Seite. Dies gestaltet die Paarung eines Schneckenkönigs mit einer herkömmlich rechts gewundenen Weinbergschnecke etwas umständlich. Während das Liebesspiel (Bild links) in der vorgesehenen Weise stattfindet, müssen die Schnecken für die eigentliche Begattung den Oberkörper verwinden, so dass die Begattung stattfinden kann.

In freier Natur sind lebende Schneckenkönige kaum je anzutreffen. Solche Funde finden im Allgemeinen Erwähnung in den Tagesmedien:

Seltener Fund - Der Brunner Schneckenkönig (MeinBezirk.at, Abgerufen 21.08.2022).
Rarität: Auch Schnecken haben Könige (DiePresse.com, Abgerufen 21.08.2022).

Nur einem unglaublichen Zufall ist es da zu verdanken, wenn, wie im Fall von Karin und Peter Leonhardt, jemandem schon zum zweiten Mal ein lebendiger Schneckenkönig in die Hände fällt. Die näheren Umstände können der Homepage von Karin und Peter Leonhardt entnommen werden.

Karin und Peter Leonhardt: Felix-Helix-Projekt (Abgerufen 21.08.2022). Lahnkönig, Moselkönig.

  Links gewundene Weinbergschnecke
Schneckenkönig der Weinbergschnecke (Helix pomatia).
Bild: Robert Nordsieck. Vergrößern!

Im Vergleich mit rechts gewundener Helix lucorum als Beweis.
Vergrößern!

Gute Chancen bieten sich, aufgrund der großen Anzahl der dort vorhandenen Schnecken, allerdings in Schneckenfarmen, wie dem Deutschen Institut für Schneckenzucht in Nersingen bei Neu-Ulm. Von dort stammte 2007 auch der rechts dargestellte Schneckenkönig "Elvis".

Dass im Gegensatz dazu in der Natur kaum Schneckenkönige vorkommen, ist nicht verwunderlich. Zum einen sind sie schon grundsätzlich sehr selten, hinzu kommt aber auch noch, dass Schnecken als Jungtiere einem ganz erheblichen Beutedruck unterliegen, nur ein geringer Teil der Jungschnecken schafft es also bis ins fortpflanzungsfähige Alter.

Genetische Grundlagen

Die genetischen Grundlagen, wie es zur Ausbildung einer bestimmten Windungsrichtung bei Schnecken kommt, war lange Zeit nicht gut dokumentiert, zumal das Verständnis der chemischen Grundlagen genetischer Information bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts nur bruchstückhaft vorhanden war.

Geht man mit den Prinzipien der Mendel'schen Genetik davon aus, dass der Vererbung der Windungsrichtung der Schneckenschale ein dominant rezessiver Erbgang zugrunde liegt, würde das bedeuten, dass das Merkmal "links gewunden" eben das rezessive Merkmal ist, das bei Mischerbigkeit vom dominanten Wildtyp-Merkmal (man spricht von Allelen) unterdrückt wird. Dennoch kann nach der Paarung zweier rechts gewundener Weinbergschnecken vorkommen, dass der Nachwuchs einer der beiden Schnecken ausschließlich links gewunden ist. Dieser Sachverhalt ist mit einem dominant-rezessiven Erbgang nicht zu erklären.

Genetische Fachausdrücke.

A. H. Sturtevants Forschung

Alfred H. Sturtevant (1891 - 1970)
Alfred H. Sturtevant (1891 - 1970).
Quelle: Prabook.
 

Der amerikanische Genetiker Alfred Henry Sturtevant veröffentlichte 1923 seine Untersuchungen in einem Artikel im Magazin Science und kam zum Schluss, dass die Windungsrichtung bei Schnecken (untersucht wurde die Gemeine Schlammschnecke (Radix labiata, damals Lymnaea peregra) tatsächlich dominant-rezessiv vererbt wird.

Sturtevant, A.H. (1923): Inheritance of direction of coiling in Limnaea. Science 58, 269-270. (Link).

In welcher Richtung die Schale einer Schnecke schließlich gewunden sei, hänge aber davon ab, wie die Zellteilungsspindel ( Diagramm) in der befruchteten Eizelle angeordnet sei. Die genetischen Grundlagen der Entstehung und Anordnung der Mitosespindel würden aber vom Genom des Muttertiers (im Falle der zwittrigen Weinbergschnecken also die Schnecke, von der die Eizelle stammt) festgelegt, und nicht vom Genom des entstehenden Embryos.

Von Bedeutung für die Vererbung der Windungsrichtung bei Schnecken sei dann also das Genom des Muttertiers und nicht der Schnecke selbst – man spricht von einem Maternaleffekt oder von matrokliner Vererbung. So erkläre sich auch, wie eine rechts gewundene Schnecke links gewundene Nachkommen haben könne: Während sie äußerlich rechts gewunden sei, müsse sie dennoch reinerbiger Träger des Merkmals "links gewunden" sein, was zu links gewundenen Nachkommen führt.

Die Genetik der Schalenwindung: Erbgang mit Kreuzungsschema.

Literatur zu den genetischen Grundlagen:

Bresch, C.; Hausmann, R.: Klassische und molekulare Genetik, 3. Ed., Springer Verlag Berlin, 1972.

Literatur über Alfred Henry Sturtevant:

Sturtevant, A. 1923. Inheritance of direction of coiling in Limnaea. Science 58: 269-270.
Sturtevant, A. H.; Lewis, E. B.: "A History of Genetics" (2001).

Moderne Forschung: Genetik des Schneckenkönigs ungenügend erklärt?

 
Schneckenkönig "Jeremy" (oben). Bild: Angus Davison. Quelle: Wikipedia.

Der britische Genetiker Angus Davison hat im Verlauf des letzten Jahrzehnts die Genetik der Schalenwindung bei Schnecken erforscht. Dabei konnte er nachweisen, dass ein bestimmtes Zellstrukturprotein, Formin, sowohl in Fröschen, wie auch in Schnecken den Unterschied in der Anordnung von Organen zwischen links und rechts steuerte. Wurde dieses Protein chemisch unterdrückt, wurden Organe auf der "falschen" Seite ausgebildet. Bei Schnecken wird so außerdem die Windungsrichtung der Schale gesteuert, indem die Mitosespindel ( Diagramm) bei der 3. Zellteilung während der embryonalen Entwicklung beeinflusst wird.

Davison, A. et al. (2016): Formin Is Associated with Left-Right Asymmetry in the Pond Snail and the Frog. Current Biology 26/7.

Nachdem dann in Südwest-London eine seltene links gewundene Gefleckte Weinbergschnecke (Cornu aspersum) (englisch [common] garden snail) gefunden wurde und den Namen Jeremy erhielt, startete Davison über das Internet unter dem Hashtag #snaillove eine Suche nach potentiellen links gewundenen Paarungspartnern.

Diese Suche war sehr erfolgreich. Davison wurden mehrere Schneckenkönige zugesandt, unter anderem aus Frankreich, Spanien und Großbritannien. Mehrere dieser Tiere stammten von Schneckenfarmen.

Holger Kreitling: Die erfreuliche Geschichte der linksgewundenen Schnecke Jeremy (Welt.de 05.01.2021, abgerufen 21.08.2022).
Kristen Rogers: Two lefties make a right, if you're a rare garden snail (edition.cnn.com 03.06.2020, abgerufen 21.08.2022).

Die eingesendeten Schnecken wurden anschließend von Davison und seinem Team katalogisiert und gepaart. Davison ging davon aus, dass die Schnecken unbefruchtet sein müssten, weil sich Schneckenkönige in der Natur kaum mit rechts gewundenen Partnern paaren würden, da dies aufgrund der spiegelbildlichen Anordnung der Organe zu schwierig sei. Paarungen finden aber sehr wohl statt, wie Karin und Peter Leonhardt (s.o.) zeigen konnten. Während diese aber in der Natur aufgrund der Seltenheit der Schneckenkönige kaum stattfinden, ist diese Möglichkeit in Schneckenfarmen, aus denen 80% der Schnecken (12 von 15) stammten, durchaus möglich.

Ergebnis der Paarungen waren ausschließlich rechts gewundene Schnecken. Nach weiterer Paarung schlüpften nur in der Generation F2 von zwei französischen Schnecken als F0-Generation im Vergleich zu 6287 rechts gewundenen 17 links gewundene Schnecken. Alle anderen Paarungen ergaben in der F2-Generation nur rechts gewundene Schnecken. (Tabelle 1 in Davison et al. (2020)).

In Folge dieser Untersuchungen geht Davison davon aus, dass die Vererbung der Schalenwindung bei Cornu aspersum nicht aufgrund genetischer Faktoren geschieht, sondern aufgrund von Veränderungen (z.B. umweltinduziert) bei der Richtung der Zellteilungsspindel während der dritten Zellteilung der befruchteten Eizelle.

Literatur und Links:

Bantock, C.R., Noble, K., Ratsey, M. (1973): Sinistrality in Cepaea hortensis. Heredity 30, 397-398. (Link, abgerufen 12.08.2022)
Davison, A., Thomas, P. et al. (2020): Internet ‘shellebrity' reflects on origin of rare mirror-image snails. The Royal Society: Biol. Lett. 16:6 (Link, abgerufen 12.08.2022).
Davison, A., (2020): Flipping shells: unwinding LR asymmetry in mirror-image molluscs. Trends Genet. 36, 189-202. (Link, abgerufen 12.08.2022).
Shinju University: Right- or left-handed? Gene expression tells the story of snail evolution (Abgerufen 22.08.2022).