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Die Fortpflanzung


Im Frühjahr, wenn die Weinbergschnecken aus der Kältestarre
erwacht sind, beginnt ihre Paarungszeit.
Bild: Robert Nordsieck.
 

Im Frühjahr, wenn die Weinbergschnecken seit einigen Wochen aus der Überwinterung erwacht sind, beginnt ihre Paarungszeit. Abhängig von den herrschenden Witterungsbedingungen kann sie bis Ende Juni andauern. Nur so bleibt den Jungschnecken nach dem Schlüpfen noch genug Zeit, groß genug zu werden, um den Winter überleben zu können.

Weinbergschnecken sind Zwitter. Wissenschaftlich auch als Hermaphroditen bezeichnet, besitzen sie sowohl männliche, als auch weibliche Organe in einem gemeinsamen Genitalapparat. Dieses Organsystem im Körper einer Weinbergschnecke enthält nicht nur Geschlechtsorgane im eigentlichen Sinn, sondern auch unterschiedliche Hilfsorgane, die in verschiedenen Phasen der Paarung Aufgaben zu erfüllen haben.

Welchen Vorteil hat es für die Weinbergschnecke, ein Zwitter zu sein? Aufgrund ihrer sprichwörtlich langsamen Fortbewegung ist der Aktionsradius einer Weinbergschnecke sehr klein. Ihre Chancen, auf einen Paarungspartner zu treffen, sind für sie, ebenso wie für andere Landschnecken, daher relativ gering.

Zwitter jedoch, wie alle Landlungenschnecken (Stylommatophora), zu denen auch die Weinbergschnecken gehören, haben jedoch allein deswegen die doppelten Fortpflanzungschancen, weil sie sich mit jedem paarungsbereiten Artgenossen fortpflanzen können, auf den sie treffen. Außerdem kann die Begattung wechselseitig stattfinden, d.h. die Schnecken können nicht nur abwechselnd als Männchen oder Weibchen wirken, sondern während der Begattung sogar gleichzeitig.

Der Ablauf der Paarung

Die Paarung der Weinbergschnecke läuft in mehreren Phasen ab, die während mehrerer Stunden von der Anlockungsphase über ein ausgedehntes Paarungsvorspiel bis hin zu eigentlichen Begattung oder Kopulation reichen.

Bilderserie: Paarung der Weinbergschnecke.

Anlockung und Liebesspiel

Ob zwei paarungsbereite Weinbergschnecken zusammentreffen, bleibt nicht völlig dem Zufall überlassen: Wie viele andere Landschnecken besitzen auch sie eine Lockstoffdrüse am Kopf, mit der sie andere paarungsbereite Schnecken anlocken können. Man kann dies äußerlich bei den Schnecken gut erkennen, da sich eine deutlich sichtbare Ausbeulung am Kopf einstellt, wenn die Drüse aktiv ist.

 
Attraktivität überschreitet manchmal die Grenzen der Spezies:
Helix lucorum (links) und Helix pomatia. Bild: Arno Brosi.

Da ähnliche Lockstoffe auch von anderen Schneckenarten, so z.B. von den ebenfalls zu den Schnirkelschnecken (Helicidae) gehörenden Bänderschnecken (Cepaea), produziert werden, kann es vorkommen, dass der Lockstoff einer Weinbergschnecke auch andere Schnecken anlockt. vergleiche: Literaturliste!: Falkner, G. (1993).

Speziesübergreifende Paarung zwischen einer Weinbergschnecke (Helix pomatia) und einer Hainbänderschnecke (Cepaea nemoralis): Bilder: Christian Gagelmann.

Paarungen zwischen Weinbergschnecken und ihren Verwandten sind sehr wohl möglich, führen aber natürlich nicht zu fruchtbarem Nachwuchs. Bastardierung zwischen nahe verwandten Arten kann andererseits aber auch zur Artbildung führen. Besonders ist dies bei den Schließmundschnecken (Clausiliidae) der Fall.

Das Paarungsvorspiel der Weinbergschnecke ist sehr interessant zu beobachten: Beide Schnecken beginnen, sich mit aneinander gelegten Fußsohlen aufzurichten und sich gegenseitig mit Lippen und Fühlern zu betasten, während sie sich sanft hin und her wiegen.

Als Vorspiel zur eigentlichen Paarung kann etwa dieses Liebesspiel mit zunehmender sexueller Erregung der Schnecken allein bis zu 20 Stunden andauern. Die eigentliche Begattung nimmt im Vergleich dazu später einen viel geringeren Anteil der Zeit ein.

Der Einsatz des Liebespfeils


Diese Gefleckte Weinbergschnecke (Cornu aspersum) wurde
gleich von zwei Liebespfeilen getroffen. Der vordere stammt
aber wahrscheinlich von einer im selben Terrarium lebenden
Hainbänderschnecke (Cepaea nemoralis).
Bild: Robert Nordsieck.
 

Im Verlauf des Liebesspiels kann es zum Einsatz eines kleinen Kalkpfeils kommen, den eine Schnecke dem Partner in den Fuß sticht. Man hat diesen Kalkpfeil, dessen Einsatz in direktem Zusammenhang mit dem weiteren Verlauf des Liebesspiels steht, daher auch als Liebespfeil bezeichnet. Die gestochene Schnecke wird deutlich erregter und aktiver und revanchiert sich manchmal etwas später, indem sie ihrerseits dem Partner einen Liebespfeil in den Körper sticht. Dieser Liebespfeil der Weinbergschnecke wird etwa 7 – 11 mm lang und besteht aus einer vierschneidigen Klinge und einer Krone, mit der er im Ruhezustand im so genannten Pfeilsack auf einer Papille sitzt.

Um den Pfeil einzusetzen, stülpt die Weinbergschnecken das gesamte Organ mit Druck nach außen, so dass der Pfeil dem Partner in den Fuß gestochen wird, wo er nach dem Abtrennen von der Papille stecken bleibt.

Trotz der Bezeichnung Pfeil, auf Englisch wird er als "love dart" bezeichnet, wird der Liebespfeil der Weinbergschnecke weder geschossen, noch geworfen, er beschreibt keine freie Flugbahn! Vielmehr wird er dem Partner wie ein Stilett in den Körper gestochen (siehe Abbildung rechts!). Allerdings verfehlt der Liebespfeil das Ziel manchmal auch und bleibt dann am Ort des Geschehens liegen. Es kann sogar dazu kommen, dass sich die Schnecken mit dem Liebespfeil gegenseitig verletzen. Nicht bei jeder Paarung kommt es zum Einsatz eines Liebespfeils – im Gegenteil ist dies nicht einmal immer möglich: Da sich Weinbergschnecken bei jeder Gelegenheit paaren, reicht die Zeit zwischen zwei Paarungen manchmal nicht aus, um der Schnecke die Herstellung eines neuen Liebespfeils zu erlauben.

Forschungen haben ergeben, dass die Anwendung des Liebespfeils keineswegs nur Auswirkungen auf das Verhalten der beiden Schnecken hat: Mit dem Liebespfeil wird dem Partner ein von den fingerförmigen Drüsen produziertes Sekret injiziert, das Hormone enthält, die im weiteren Verlauf der Paarung bestimmte Organe im Genitalapparat der Schnecke beeinflussen und so die Chancen der Schnecke, die den Liebespfeil eingesetzt hat, auf Vererbung ihrer Gene verbessert. vergleiche: Literaturliste!: Koene, J., Chase, R. (1998).

Die genauen Auswirkungen werden zum besseren Verständnis in Zusammenhang mit den entsprechenden Organen des Genitalapparats beschrieben:

Der Genitalapparat.

Die Begattung (Kopulation)


Nachdem die Begattung endgültig vollzogen ist, kann die Sper-
matophore wechselseitig übertragen werden.
Bild: Robert Nordsieck.
 

Nach dem langen und ausgiebigen Paarungsvorspiel kommt es zu einigen Begattungsversuchen. Dabei kann es sich so darstellen, dass die Paarungsbereitschaft der beiden Weinbergschnecken sehr unterschiedlich aussieht, so dass die Paarungsversuche der beiden Schnecken, oftmals abwechselnd, fast zu einem Ringkampf ausarten.

Nachdem es die beiden Schnecken aber schließlich gelungen ist, eine geeignete Position zu finden, kommt es endlich doch zur eigentlichen Begattung, während der die beiden Schnecken ihre lang ausgestreckten Penes miteinander verschlingen und schließlich in die Vagina des Partners einführen. Nachdem diese Vereinigung schließlich gelungen ist, verharren die beiden Schnecken fast bewegungslos. Währenddessen kommt es im Körper der beiden Schnecken zur Bildung eines Samenpaketes, einer so genannten Spermatophore, die anschließend mit Samenzellen angefüllt wird.

Die Spermatophore ist fast 10 cm lang und fadenförmig. Auch nachdem sie erfolgreich im Genitalapparat des Partners platziert worden ist, schaut noch der lange, fadenförmige Schwanz aus der Geschlechtsöffnung der Schnecke. Aus diesem Grund bleiben die beiden Schnecken auch nach der Kopulation bewegungslos am Ort des Geschehens sitzen und unterstützen die Übertragung der Spermatophore, bis auch der Schwanz im Körper des Partners verschwunden ist. Werden die Schnecken in dieser Phase der Kopulation getrennt, kann es vorkommen, dass die Spermatophore zerstört wird und die Kopulation, für deren Erfolg die Übertragung der Spermatophore in vollständigem Zustand von grundlegender Bedeutung ist, erfolglos ist. In diesem Fall kann es später nicht zu einer Befruchtung der Eizellen kommen.

Jetzt erst trennen sich die beiden Schnecken und können sich nur kurze Zeit später schon wieder paaren. Zumindest ein Teil der fremden Spermien wird in einer besonderen Samentasche gespeichert, so dass die Befruchtung durch Samenzellen unterschiedlicher Partner stattfinden kann. Diese steht allerdings in unmittelbarer Verbindung mit der Eiablage, die erst dann stattfindet, wenn die Umweltbedingungen günstig und ein geeigneter Ort für die Anlage einer Legehöhle gefunden ist.

Weiterführende Informationen:

Veröffentlichungen des Autors: