This page in English!  

Die Fühler der Schnecken


Kopf einer Weinbergschnecke mit den charakteristischen vier
Fühlern. Bild: Robert Nordsieck.
 

Beobachtet man eine herumkriechende Schnecke, so wird der Blick fast unweigerlich von ihrem Kopf angezogen, der sich mit den Fühlern in seiner Umgebung orientiert. Die Schnecke ertastet ihre Umwelt, stößt mit dem Fühler an ein Hindernis und zieht ihn ein. Die Schnecke kann die Fühler auch unabhängig voneinander bewegen und wenn man genauer hinschaut, kann man erkennen, dass sie an der Spitze ihrer großen Fühler jeweils ein Auge trägt, erkennbar als kleiner schwarzer Punkt im Endknopf des Fühlers. Neben diesen großen Fühlern hat die Schnecke noch zwei kleinere, die sich darunter befinden und meist nach unten zum Boden zeigen. Dahinter kann man außerdem die Lippen der Schnecke erkennen, die ihre Mundöffnung verdecken.

Dass Schnecken einen Kopf besitzen, an dem sie ihre Fühler tragen, erscheint auf den ersten Blick selbstverständlich. Das ist es aber innerhalb der Weichtiere keineswegs.

Mehrere Weichtiergruppen, etwa die Muscheln (Bivalvia) und die Kahnfüßer (Scaphopoda), besitzen keinen Kopf. Den Schnecken, die sich normalerweise umher bewegen, verschafft er aber entscheidende Vorteile: Sinnesorgane können am Kopf konzentriert werden. Im Gegensatz dazu bewegen sich  Muscheln oder Kahnfüßer üblicherweise nur wenig von ihrem Standort weg, brauchen daher also keinen Kopf. Muschelarten, wie die Feilenmuschel (Lima hians), die frei im Wasser schwimmen können, haben dazu ebenfalls Fühler entwickelt. In Ermangelung eines Kopfes (man nennt die Muscheln auch Acephala, die Kopflosen) setzen bei der Feilenmuschel die Fühler am Mantel an.

 
Augenfühler einer Weinbergschnecke. Bild: Martina Eleveld.

Bei den Schnecken andererseits sind Fühler ein Bestandteil des Grundbauplans. Also besitzen alle Schnecken Fühler, allerdings sind diese bei den verschiedenen Schneckengruppen sehr unterschiedlich entwickelt. Zwei Fühlerpaare, wie wir sie von der Weinbergschnecke kennen, besitzen in dieser Form so nur die Landlungenschnecken (Stylommatophora), zu denen auch die Weinbergschnecke gehört.

Auch die Augen, die sich bei der Weinbergschnecke an der Spitze der Fühler befinden, sind keineswegs allen Schnecken gemeinsam. Den Landlungenschnecken haben sie allerdings zu ihrem wissenschaftlichen Namen verholfen, Stylommatophora bedeutet "Stielaugenschnecken".


Neuseeländische Zwergdeckelschnecke (Potamopyrgus anti-
podarum
). Bild: © Alexander Mrkvicka, Wien (mrkvicka.at).
 

Betrachtet man nun aber hingegen eine Wasserschnecke, so kann man bei genauem Hinsehen erkennen, dass sich die Augen an der Basis der Fühler befinden. Und diese Schnecke besitzt auch nur ein Fühlerpaar.

Bei vielen Meeresschnecken kann man aber erkennen, dass die Augen auf leicht verlängerten Stielen stehen, so dass die Schnecke unter der schützenden Wand ihrer Schale hervorschauen kann, ohne den Kopf ausstrecken zu müssen. Man kann also davon ausgehen, dass die Augenfühler sich später entwickelt haben, um die Augen zu tragen und dass die besonders langen Augenfühler der Landlungenschnecken eine besondere Anpassung sind, die ihnen ein erweitertes Gesichtsfeld verleiht.

Untersucht man die Augen einer Schnecke, so wird man herausfinden, dass zumindest die Augen der Landlungenschnecken sehr hoch entwickelt sind. Sie besitzen sogar eine Linse, so dass die Schnecke sicherlich Bilder sehen kann. Allerdings verfügt sie nicht über genug verschiedene Sehsinneszellen, um Farben sehen zu können. Außerdem besitzt sie keinen Linsenmuskel, kann die Linse also nicht scharf stellen. Obwohl ihre Augen für ein wirbelloses Tier sehr hoch entwickelt sind, kann die Schnecke also nicht besonders gut damit sehen. Um so wichtiger sind ihre Fühler für ihre Orientierung.

Anders als die Augenfühler zeigen die kleineren Fühler meist auf den Boden. Sie dienen vor allem zur Geruchsorientierung: Sinneszellen auf den Fühlern verschaffen der Schnecke ein Bild von ihrer Umgebung und helfen ihr bei der Nahrungssuche. Mittlerweile hat man herausgefunden, dass manche Schnecken mittels Geruchshormonen auch Partner anlocken. Die kleinen Fühler helfen also auch bei der Partnersuche. Während der Paarung betasten Weinbergschnecken sich ausgiebig mit den Fühlern, was unter anderem dazu dienen dürfte, das Geruchshormon besser aufnehmen zu können. Riechsinneszellen besitzen Schnecken auch auf den großen Fühlern.

Helix pomatia: Ausstülpen eines Fühlers
Weinbergschnecke (Helix pomatia) stülpt einen ihrer Fühler aus.
Film: Martina Eleveld.

Film 1: Filmwiedergabe in neuem Fenster öffnen!
 
 
Ausstrecken und Einziehen des Fühlers.
Bild: Robert Nordsieck.

Wenn man beobachtet, wie eine Weinbergschnecke ihre Fühler benutzt, indem sie ihre Umgebung ertastet, so erkennt man sehr schnell eine besondere Eigenschaft der Fühler: Die Schnecke kann sie einziehen, wenn sie an ein Hindernis stößt. Und zwar kann sie ihre Fühler auch unabhängig voneinander einziehen.

Jeder Fühler der Schnecke besitzt einen eigenen Rückziehmuskel, den Retraktor (Bild rechts, 2). Wenn die Schnecke diesen Muskel zusammen zieht (4), wird der Fühler eingezogen und verschwindet wie der Finger eines Handschuhs im Inneren des Kopfes (B). Besonders bei jungen Schnecken, die meist noch etwas durchsichtiger sind, kann man dabei erkennen, wie das Auge (1) als dunkler Punkt durch den Fühler wandert.

Zum Ausstrecken des Fühlers kann die Schnecke den Muskel allerdings nicht gebrauchen. Dazu verwendet sie Blutflüssigkeit (Hämolymphe), die sie in den Fühler presst (A).

Ein Sonderfall sind manche Landlungenschnecken, die nicht zwei, sondern drei Fühlerpaare zu besitzen scheinen: Eine herumkriechende Wolfsschnecke (Euglandina rosea) zum Beispiel, verwendet dieses dritte Fühlerpaar dazu, den Boden vor ihrem Kopf zu untersuchen. Dazu sollte man wissen, dass die Wolfsschnecke, passend zu ihrem Namen, eine Raubschnecke ist, die andere Schnecken jagt, die sie entlang ihrer Schleimspur verfolgt. Man könnte also fast sagen, dass die Wolfsschnecke ihre Beute "erschnüffelt". Das dritte Fühlerpaar sind allerdings die stark erweiterten Lippen der Wolfsschnecke, auf denen sich ebenfalls zahlreiche Geruchssinneszellen befinden.

Nicht alle Raubschnecken besitzen diese fühlerartig erweiterten Lippen, dazu zählen aber zum Beispiel die vor allem in Mittelamerika vorkommenden Wolfsschnecken und die afrikanischen Raubschnecken der Gattung Natalina (Familie Rhytididae). Eine Raubschnecke ohne verlängerte Lippen ist im Gegensatz dazu die dalmatinische Raubschnecke (Poiretia cornea). Auch die europäischen Halbnacktschnecken (Testacellidae und Daudebardiinae) sehen in dieser Beziehung aus, wie alle anderen Landlungenschnecken.


Kopf und Fühler von Helix (A), Euglandina (B) und Pomatias (C). Bild: Robert Nordsieck.
 
 
Schöne Landdeckelschnecke (Pomatias elegans), mit Schalen-
deckel (Operculum). Bild: Michael Stemmer.
   
 
Die Schlanke Zwerghornschnecke (Carychium tridentatum) ge-
hört zu den Küstenschneckenverwandten (Ellobioidea).
Bild: © Stefan Haller.

Das Bild links zeigt nochmals die drei bereits angesprochenen Fühlerformen bei Schnecken: Zwei Fühlerpaare bei herkömmlichen Landschnecken, wie der Weinbergschnecke (Helix), dazu die verlängerten Lippen bei Raubschnecken, wie der Wolfsschnecke (Euglandina).

Wie bereits erwähnt, besitzen Wasserschnecken nur zwei Fühler, die sie überdies nicht einziehen können.

Die schöne Landdeckelschnecke (Pomatias elegans) (C) allerdings ist keine Wasserschnecke, sondern eine Landschnecke; allerdings gehört er zu dem geringeren Anteil an Landschnecken, die keine Landlungenschnecken sind. Er ist näher verwandt mit meereslebenden Gruppen, in seinem Fall den Strandschnecken (Littorinidae). Das erkennt man auch daran, dass er, anders als die Landlungenschnecken, einen Deckel (Operculum) hat, der beim Zurückziehen der Schnecke die Schalenmündung verschließt.

Andere deckeltragende Landschneckengruppen sind zum Beispiel die Mulmnadeln (Aciculidae) und die Turmdeckelschnecken (Cochlostomatidae).

Noch eine dritte Gruppe sind die Zwerghornschnecken (Carychiidae). Sie sind mit den Küstenschnecken (Ellobiidae) verwandt, besitzen keinen Schalendeckel, aber trotzdem nur zwei Fühler mit den Augen an deren Basis.

Im Gegensatz zur großen Artenzahl der anpassungsfähigen Landlungenschnecken sind diese Gruppen aber an Zahl klein geblieben.

Um zu den Wasserschnecken zurück zu kehren, so kann man bei diesen zum einen die wasserlebenden Lungenschnecken erwähnen, die keinen Deckel besitzen (Lungenschnecken haben niemals einen Deckel), aber nur zwei Fühler. Da ihre Augen sich, wie bereits erwähnt, an der Basis der Fühler befinden, heißen diese Schnecken folgerichtig auch Basommatophora, die Grundäugler.

Die Fühler der Wasserlungenschnecken können sehr verschieden aussehen. Während Tellerschnecken (Planorbidae) und Blasenschnecken (Physidae) lange, fadenförmige Fühler haben, sind die Fühler der Schlammschnecken (Lymnaeidae) kurz, breit und dreieckig.

Im Gegensatz dazu stehen die Kiemenschnecken, die im Meer und im Süßwasser leben. Die so genannten Vorderkiemer (Prosobranchia) besitzen einen Schalendeckel und sind außerdem getrennt geschlechtlich, im Gegensatz zu den zwittrigen Lungenschnecken. In Hinblick auf die Fühler sind besonders die im Süßwasser lebenden Flussdeckelschnecken (Viviparidae) interessant.


Flussdeckelschnecke (Viviparus contectus). Der rechte Fühler
im Hintergrund ist zu einem Begattungsorgan umgebildet.
Bild: © Alexander Mrkvicka, Wien.
 

Bei den männlichen Flussdeckelschnecken ist der rechte Fühler zu einem Begattungsorgan ausgebildet und daher deutlich dicker, als der linke Fühler.

Viele Meeresschnecken schützen sich durch eine besonders dicke Schale gegen die feindselige Umgebung, zu der sehr wohl auch andere der sehr oft räuberischen Meeresschnecken gehören.

 
Kegelfechterschnecke (Conomurex luhuanus).
Bild: Richard Ling (Quelle).

Ein Beispiel dafür sind die Flügelschnecken (Strombidae), die ihren Namen der flügelartig erweiterten Schale verdanken. Ihre Augen sitzen, fast, wie bei den Landlungenschnecken, auf kurzen Stielen, so dass die Schnecke unter ihrem schützenden Gehäuse hervorschauen kann, ohne den Kopf ausstrecken zu müssen (s. o.).

Den kämpferischen Namen Fechterschnecken haben diese Schnecken übrigens daher, dass sie sich mit ihrem säbelförmigen Deckel gut zur Wehr setzen können, wenn sie sich angegriffen fühlen. Ihren Deckel nutzen sie außerdem dazu, sich über den Ozeanboden springend fortzubewegen.

Die meereslebenden Hinterkiemerschnecken (Opisthobranchia) schließlich besitzen keinen Schalendeckel. Sie sind Zwitter, wie die Lungenschnecken und zum größten Teil Nacktschnecken. Viele Arten haben die Fühler zurück gebildet. Interessanterweise haben viele Hinterkiemer aber eine eigene Art von Fühlern entwickelt: Oberhalb der eigentlichen Fühler, sofern diese überhaupt vorhanden sind, sitzen die so genannten Rhinophoren. Auf ihrer oft vergrößerten Oberfläche sitzen besonders viele Geruchssinneszellen, was den Namen Rhinophoren ("Nasenträger") erklärt. Die Seehasen (Aplysiidae) haben ihren Namen daher, dass ihre Rhinophoren wie Hasenohren aussehen. Bei den farbenfrohen Nacktkiemern (Nudibranchia) können die Rhinophoren ähnlich farbintensiv sein, wie die bunten Rückenanhänge (Cerata), die diese Schnecken zu beliebten Objekten bei Unterwasser-Photographen machen.

Um abschließend nochmals zu den Landlungenschnecken zurück zu kehren, so haben die Fühler der Bernsteinschnecken (Succineidae) besonders für einen Parasiten Bedeutung, der diese Schnecken befällt. Der Saugwurm Leucochloridium paradoxum infiziert die Schnecke als wasserlebende Larve (Miracidium). Im Körper der Schnecke entwickelt er sich weiter, vermehrt sich und wandert in die Fühler, wo die großen farbigen Sporocystenschläche die Fühler grotesk anschwellen lassen. Nachdem die Schnecke ihre Fühler nun nicht mehr einziehen kann und zudem, vom Parasiten beeinflusst, an Wasserpflanzen hinauf kriecht, wo sie gut zu sehen ist, fressen Vögel die Fühler der Schnecke und werden so ihrerseits infiziert - ein Vorgang, den die Schnecke natürlich mit dem Leben bezahlt.

Systematische Einordnung der erwähnten Gruppen (z. T. nach CLECOM).

Weiterführende Literatur


Mit Bildern von Stefan Haller:
http://www.schneckenfoto.ch.