Teil 1: Lebensräume | Teil 2: Systematik | Teil 3: Morphologie und Entwicklung | Teil 4: Ökologie und Schutz |
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![]() Größenordnungen der Landlungenschnecken (Stylommatophora): Punktschnecke (Punctum pygmaeum) im Vergleich mit Ena montana. |
![]() Berg-Vielfraßschnecke (Ena montana) im Vergleich mit einer Weinberg- schnecke (Helix pomatia). Bilder: Stefan Haller (schneckenfoto.ch). |
Sekundäre Luftatmung bei Landdeckelschnecken? Landdeckelschnecken stammen von Kiemen tragenden Schneckengruppen ab. Daher besitzen sie auch keine Lunge. Stattdessen hat sich ihre Mantelhöhle sekundär zu einer Lunge entwickelt, während die Kiemen meistens zurück gebildet wurden. Auch gibt es kein Atemloch, sondern der Luftaustausch findet über eine Große Öffnung am Schalenrand statt. Man bezeichnet diesen Zustand als pseudopulmonal oder sekundär pulmonal. ![]() ![]() |
So gehört etwa die Schöne Landdeckelschnecke (Pomatias elegans) zu den Littorinimorpha und damit zur großen Gruppe der Caenogastropoda, nicht jedoch zu den Lungenschnecken. Die Graue Walddeckelschnecke (Cochlostoma henricae) wiederum gehört zu den Architaenioglossa, einer Gruppe, die ebenfalls zu den Caenogastropoda gezählt wird – wie etwa auch die süßwasserlebenden Sumpfdeckelschnecken (Viviparidae). Schließlich sind die tropischen Helicinidae, denen wir schon bei den Neritimorpha begegnet sind, ebenfalls landlebende Schnecken – obwohl ihre nächsten Verwandten, wie die meer- und süßwasserbewohnenden Kahnschnecken (Neritidae), ganz andere Lebensräume bevorzugen.
Insgesamt lassen sich also mehrere stammesgeschichtliche Entwicklungslinien nachvollziehen, durch die unterschiedliche Schneckengruppen jeweils auf eigene Weise die Fähigkeit erworben haben, auf dem trockenen Land zu leben. Neueren Forschungen zufolge hat dieser Übergang an Land zehn- bis zwölfmal unabhängig voneinander stattgefunden. Während einige Gruppen – insbesondere die Stylommatophora – teilweise ein reiches Fossilvorkommen hinterlassen haben, sind viele andere landlebende Schneckengruppen fossil nur schwach oder gar nicht nachgewiesen.
Landschnecken.
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Phylogeny and Classification of Extant Gastropoda.
![]() Mäuseöhrchen (Myosotella myosotis, Ellobiidae): Tasmanien, Australien. Bild: Bruno Bell (iNaturalist). |
![]() Schlanke Zwerghornschnecke (Carychium tridentatum). Bild: Stefan Haller (schneckenfoto.ch). |
Mäuseöhrchen leben bevorzugt im grasigen Bereich der Salzwiesen, unter Treibholz, Steinen, faulendem Tang oder angespülten Planken. Sie sind tolerant gegenüber dem Salzgehalt und ernähren sich hauptsächlich von Kieselalgen und Detritus. In Deutschland sind sie ausschließlich in Salzwiesen zu finden – ein Lebensraum, der zunehmend bedroht ist. Entsprechend gilt Myosotella myosotis dort als vom Aussterben bedroht.
NABU:
Verstecktes Leben in der Salzwiese: Das Mäuseöhrchen im Porträt.
Arbeitskreis Mollusken
NRW:
Weichtier des Jahres 2008 Das Mäuseöhrchen Myosotella myosotis (DRAPARNAUD,
1801).
Typisch für die Ellobiidae ist die Lage der Augen an der Fühlerbasis – im Gegensatz zu den meisten anderen Landlungenschnecken, bei denen die Augen an der Spitze der Fühler sitzen. Es spricht vieles dafür, dass ein gemeinsamer Vorfahre von Ellobiidae und Stylommatophora direkt aus dem Meer kommend über küstennahe Lebensräume das trockene Land besiedelte. Während die Küstenschnecken wie Myosotella in ihrem ursprünglichen Habitat verblieben, haben sich ihre Verwandten, etwa die Zwerghornschnecken (Carychiidae), bereits weiter ins Landesinnere vorgewagt. Aus dieser Entwicklung gingen schließlich die Landlungenschnecken (Stylommatophora) hervor – eine Gruppe, die sich in zahllosen Lebensräumen behauptet und im Zuge ihrer Anpassung eine gewaltige adaptive Radiation erlebte.
Diese Radiation macht die Stylommatophora nicht nur zur artenreichsten Gruppe innerhalb der Schnecken, sondern auch zu einem zentralen Grund dafür, dass die Weichtiere (Mollusca) – nach den Gliederfüßern (Arthropoda) – der zweitartenreichste Tierstamm überhaupt sind.
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![]() Schöne Landdeckelschnecke (Pomatias elegans): Keine Lungenschnecke! Bild: Gilberto Sánchez Jardón (iNaturalist): Asturias, Spanien. |
![]() Schöne Landdeckelschnecken (Pomatias elegans) auf feuchten Felsen in der Spitzwasserzone. Bild: Florence Gully (Estran 22). |
Tatsächlich ist die Schöne Landdeckelschnecke gar nicht näher mit den Landlungenschnecken verwandt: Stattdessen zählt sie systematisch zu den Caenogastropoda, und dort zu den Littorinimorpha, d.h. ihre nächsten Verwandten sind die Strandschnecken (Littorinidae). Die ältesten Vertreter der Gattung Pomatias sind übrigens aus dem Oligozän, also vor ca. 33,9 - 23,03 Mio. Jahren, nachgewiesen. Damit stellt sich also die Frage, wie die Vorfahren von Pomatias elegans an Land gelangt sind.
Betrachtet man das Verhalten von Strandschnecken, so stellt man fest, dass es z.B. an der Nordseeküste und an der französischen Atlantikküste mehrere verschiedene Arten gibt, die unterschiedliche Teile der Gezeitenzone bewohnen: Viele Strandschneckenarten können gut zeitweiliges Trockenfallen überstehen und schützen sich entweder in Ritzen und Spalten der Strandfelsen, oder mit ihrem Schalendeckel gegen Austrocknung und gegen Fressfeinde, wie etwa Strandvögel.
Und tatsächlich wurde in der Bretagne (Dép. Côtes d'Armor, vgl. Estran22) auch Pomatias elegans schon beobachtet, wie er in der Spritzwasserzone auf Nahrungssuche ging. Die Art scheint also zumindest einigermaßen tolerant gegenüber Salzwasser zu sein. Es erscheint also wahrscheinlich, dass die Vorfahren der Schönen Landdeckelschnecke Strandschnecken-ähnliche Tiere waren, die eine zunehmende Toleranz gegen Trockenfallen entwickelt hatten, so dass sie schließlich dauerhaft auf dem trockenen Land bleiben konnten und nicht regelmäßig ins Meer zurückkehren mussten.
Das Operculum verblieb und gewann nun noch mehr Bedeutung zum Schutz gegen Trockenheit und gegen die allgegenwärtigen Fressfeinde. Die bereits erwähnte Dalmatinische Raubschnecke (Poiretia cornea) braucht hingegen eine spezialisierte Methode, um der bedeckelten Schnecken Herr werden zu können: Sie löst mit einer besonderen Säuredrüse im Fuß die Schalenwand der Beute auf, um diese dann ohne mögliche Gegenwehr fressen zu können.
Wikipedia:
Schöne Landdeckelschnecke.
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![]() Kleine Walddeckelschnecke (Cochlostoma septemspirale) mit zwei Schließmundschnecken (Clausiliidae): Isère, Rhône-Alpes, Frankreich. Bild: Guillaume Hoffmann (iNaturalist). |
![]() Graue Turmdeckelschnecke (Coch- lostoma henricae): Liezen, Öster- reich. Bild: A. Mrkvicka (iNaturalist). |
![]() Graue Turmdeckelschnecke (Cochlostoma henricae): Bad Ischl, Salzkam- mergut, Österreich. Bild: Martina Eleveld | |
![]() Mulmnadel (Aciculidae): Serpiano, Tessin, Schweiz. Bild: Stefan Haller (schneckenfoto.ch). |
Ursprünglich in Südeuropa verbreitet – von den südlichen Pyrenäen bis zur Balkanhalbinsel – hat sich die Art auch an einige Orte nördlich der Alpen ausgebreitet, etwa ins Oberrheintal, Wutachtal, die südöstlichen Kalkalpen Bayerns oder ins Donautal bei Regensburg. Die Kleine Walddeckelschnecke lebt bevorzugt an exponierten Kalkfelsen, in Geröllhalden oder in der Laubstreu schattiger Wälder. Sie kommt sowohl an trockenen als auch an feuchten Standorten vor und ernährt sich von Algen, Flechten sowie verrottendem Pflanzenmaterial. Nach Regen sind die Tiere oft in großer Zahl auf freiliegenden Felsen, Holzstücken oder an Baumrinde zu finden, wo sie den Oberflächenbewuchs abweiden. Bei Trockenheit ziehen sie sich unter Steine oder Totholz zurück.
In Norditalien (Südalpen) und Südostösterreich (Ostalpen), isoliert auch im Salzkammergut, lebt eine weitere Art: Die Graue Walddeckelschnecke (Cochlostoma henricae), die bevorzugt auf Kalkfelsen vorkommt und als besonders trockenresistent gilt.
Wie die Landdeckelschnecken (Pomatiidae, s.o.) gehören auch jedoch die Walddeckelschnecken nicht zu den Lungenschnecken: Sie besitzen einen festen, kalkigen Schalendeckel (Operculum), nur zwei Fühler mit Augen an der Basis und sind getrennt geschlechtlich. Systematisch gehören sie ebenso zu den Caenogastropoda. Im Gegensatz jedoch zu den Landdeckelschnecken gehören sie zur Ordnung Architaenioglossa, gemeinsam mit Süßwasserschnecken wie den Apfelschnecken (Ampullariidae) und Sumpfdeckelschnecken (Viviparidae). Eine weitere Familie landlebender Deckelschnecken innerhalb dieser Gruppe sind die Mulmnadeln (Aciculidae): Diese leben jedoch hauptsächlich in Wäldern unter Laubstreu, Steintrümmern und in Totholz, im Boden oder auch in Höhlen und ernähren sich in erster Linie von den Eiern anderer Schneckenarten. Fossil lassen sie sich als Tertiärrelikte bis ins Eozän (vor 56 - 33,9 Mio. Jahren) zurück verfolgen (BOETERS et al., 1989).
Auch bei den Walddeckelschnecken und Mulmnadeln stellt sich daher die Frage, wie der Übergang vom Wasser- zum Landleben erfolgt ist. Aufgrund ihrer Verwandtschaft mit den Sumpfdeckelschnecken liegt die Vermutung nahe, dass ihre Vorfahren ursprünglich in Flüssen und Seen lebten und allmählich über sumpfige Randbereiche an dauerhaftes Landleben angepasst wurden. Der Erhalt des Schalendeckels erwies sich auch bei ihnen als vorteilhaft – zum Schutz vor Austrocknung und Feinden in der neuen, terrestrischen Umgebung.
Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Apfelschnecken (Ampullariidae), die ebenfalls zur Großgruppe der Architaenioglossa gehören, sowohl Kiemen besitzen, als auch sekundäre Lungen entwickelt haben, da sie in Gewässern leben, die oft trockenfallen. Zusätzlich besitzen sie ein Atemrohr (Sipho) wie viele Meeresschnecken, das ihnen das Atmen bei niedrigen Wasserständen erleichtert. Es ist also gut vorstellbar, dass Walddeckelschnecken oder Mulmnadeln sich aus einem ähnlichen Vorfahren entwickelt haben könnten.
WoRMS: MolluscaBase eds. (2025):
Cochlostomatidae KOBELT, 1902,
Aciculidae J. E. GRAY, 1850
Wikipedia:
Walddeckelschnecken,
Mulmnadeln.
Stijn Ghesquiere:
Ampullariidae Respiration.
BOETERS, H.D., GITTENBERGER, E., SUBAI, P. (1989): "Die Aciculidae (Mollusca:
Gastropoda Prosobranchia)". Zoologische Verhandelingen, 252(1): pp. 1–230.
FECHTER,
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116 f., S. 126 f..
Mosaik Verlag, München.
KERNEY,
M.P., CAMERON, R.A.D., JUNGBLUTH,
J.H. (1983): "Die Landschnecken Nord- und Mitteleuropas", S. 63 ff.,
S. 69 ff.; Parey
Verlag, Hamburg, Berlin.
![]() Helicina striata: Puerto Rico. Bild: Octavio Rivera Hernández (iNaturalist). |
Ira Richling:
helicina.de: Forschung an Helicinidae.
![]() Helicina unizonata: Orellana, Ecuador. Bild: Stephen Luk (iNaturalist). |
![]() Helicina laus: Río Cuyabeno, Putumayo, Sucumbíos, Ecuador. Bild: Felipe Campos (iNaturalist). |
Die Schalen vieler Helicinidae erinnern – wie ihr Name – an Schnirkelschnecken (Helicidae), doch hier endet die Ähnlichkeit bereits: Wie die zuvor beschriebenen Gruppen sind auch die Helicinidae keine Lungenschnecken: Sie besitzen einen kalkigen Schalendeckel (Operculum), sind getrennt geschlechtlich und verfügen über zwei Fühler, an deren Basis die Augen sitzen. Systematisch gehören sie nicht zu den Caenogastropoda, sondern zu den Neritimorpha – und sind damit mit den meeres- und süßwasserlebenden Kahnschnecken (Neritidae) verwandt.
Auch bei den Helicinidae stellt sich daher die Frage, wie ihre Vorfahren den Übergang zum Landleben vollzogen haben denn laut Dr. Ira Richling (helicina.de) sind sie "eine Schneckengruppe, die sich evolutionär als erste, unabhängig von anderen und meist besser bekannten Landschneckengruppen wie z. B. den Lungenschnecken, zum Landleben entwickelte". Und "trotz dieser interessanten Aspekte wurden sie als Forschungsobjekte weitgehend vernachlässigt".
Viele Kahnschneckenarten leben in Grenzbereichen zwischen Wasser und Land: Manche, wie die Gemeine Kahnschnecke (Theodoxus fluviatilis), eigentlich eine Süßwasser-Art, kommen dank ihrer hohen Salinitätstoleranz sogar im Brackwasser der Ostsee vor. Andere, wie Nerita lineata, sind in Singapur häufige Bewohner von Mangrovensümpfen und Monsun-Abflüssen (vgl.: Guide to the Mangroves of Singapore: Common nerite). Vor diesem Hintergrund erscheint es plausibel, dass sich die Helicinidae aus Vorfahren ähnlich der Kahnschnecken entwickelt haben könnten, die von einer amphibischen Lebensweise an Küstenstandorten und in Mangrovengebieten zu einem vollständig terrestrischen Leben übergegangen waren.
Eines ist aber sicher: Trotz ihres ähnlich lautenden Namens könnten Helicinidae und Helicidae unterschiedlicher nicht sein!
ROBINSON, D.G.,
HOVESTADT, A., FIELDS, A., BREURE, A.S.H. (2009): "The
land Mollusca of Dominica (Lesser Antilles), with notes on some enigmatic or
rare species". Zoologische Mededelingen 83. (Link).
Wikipedia:
Helicina rhodostoma,
Helicina guppyi (Englisch).
Jacksonville Shell
Club:
Florida Land Snails Part 2.
![]() Mit Bildern von Stefan Haller: http://www.schneckenfoto.ch. |
Letzte Änderung: 13.09.2025 (Robert Nordsieck).